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Mit Kinderporno-Filtern gegen Raubkopie-Quellen



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Die Filmlobby-Organisation MPA setzt einen neuen juristischen Hebel gegen Filesharing-Dienste an: Statt illegale Filmverteiler zu verklagen, will die MPA die British Telecom zwingen, den Zugang zu einer Raubkopie-Quelle zu blockieren. BT soll dabei Sperrtechnik gegen Kinderpornoseiten nutzen.
 
 
Was der britische High Court am Donnerstag, dem 14. Juli 2011 zu entscheiden hat, könnte europaweit Schule machen: Eine Lobby-Organisation der Entertainment-Industrie klagt gegen einen großen Provider.
British Telecom soll so gezwungen werden, seinen Kunden den Zugang zu einer illegalen Usenet-Filesharing-Seite zu versperren. Das Urteil hat in Großbritannien das Potential, zu einem Präzedenzfall zu werden. Es wäre zwar nicht das erste Mal, dass die Entertainment-Industrie einen Provider zwänge, seine Kunden zu Wohlverhalten zu nötigen. 2008 verurteilte ein dänisches Gericht den Internetprovider Tele2 zur Sperrung der Bittorrent-Suchmaschine Piratebay. Auch die französische Hadopi-Regelung oder die britische Three-Strikes-Regelung tun nichts anderes. Die zielen allerdings auf einzelne Kunden, bei denen Fehlverhalten beobachtet wurde, sie sind Warnschüsse gegen konkrete P2P-Sünder, keine Maßnahme gegen jedermann.
Anzeigen, Abmahnungen und Warnungen gehören seit langem zum Repertoire der Entertainment-Branchen im Kampf gegen das illegale Filesharing. Auch direkte Klagen gegen P2P-Anbieter sind schon seit Napster-Zeiten Standard. Beides aber hat das Problem aus Sicht der Entertainment-Branchen nicht lösen können. Jetzt soll eben ein dritter Ansatz helfen: Was man nicht löschen, schließen oder verbieten kann, soll schlicht verborgen werden.
Mit Kinderporno-Filtern gegen Filmpiraten und Musik-Downloads?
Brisant ist, mit welchen technischen Mitteln das bewerkstelligt werden soll: Die MPA will mit ihrer Klage einen Einsatz der heftig umstrittenen Sperrfilter gegen Kinderpornografie zu ihrem Nutzen erreichen.
Genau davor hatten Gegner der auch in Deutschland nach wie vor heftig umstrittenen Sperrfilter gewarnt: Dass die Zensur-Software, einmal aktiviert, auch für andere Zwecke genutzt werden könnte - von politischer Zensur bis hin zum nun intendierten Einsatz im Sinne eines Rechteinhabers, der seine Güter schützen will.
Die Klage kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem die Copyright-Lobby ihren Kampf gegen P2P und illegale Streaming-Angebote merklich hochgefahren hat und etliche Erfolge melden konnte. So klagt die Motion Picture Association of America, Mutterorganisation der MPA, zurzeit gegen mehrere Streaming-Dienste und Filehoster. In Deutschland gelang es der MPA-Partnerorgansiation GVU, die hierzulande populärste Streaming-Börse Kino.to zumindest kurzzeitig vom Netz zu nehmen . Vor allem aber zeigt die Lobby Härte gegen die Betreiber solcher Dienste, denen die Aura der Rebellen genommen werden soll. Die Betreiber von Kino.to wurden als Kriminelle geoutet, die Millionenumsätze machten - und sich nun mit Anklagen konfrontiert sehen, die ihnen teils mehrjährige Haftstrafen einbringen könnten.
Demonstrative Härte
Das könnte auch Richard O'Dwyer noch passieren, dem 23 Jahre jungen Betreiber einer TV-Fanseite, die Links zu Streams von TV-Serienfolgen sammelte und veröffentlichte. Auch seinen Fall hat die britische Justiz noch auf dem Tisch: Die USA haben die Auslieferung des jungen Mannes beantragt. Dort könnten ihm ebenfalls fünf Jahre Haft drohen - und darüber hinaus eventuell auch noch zivilrechtliche Klagen, die in den USA gern Millionenhöhen erreichen. Natürlich geht es in solchen Fällen immer auch um Abschreckung.
Doch was, wenn die Betreiber eines illegalen Angebotes gar nicht auszumachen sind? Das eigentliche Ziel der aktuellen Klage ist Newzbin, einer der zahlreichen Dienste, die aus der einst frei zugänglichen Kommunikationsplattform Usenet eine extrem schwer zu kontrollierende Download-Börse gemacht haben, zu der man nur noch per Zahlung Zugang bekommt.
Usenet-Gruppe als Quelle illegaler Downloads
Das Usenet ist einer der ältesten Dienste des Internets. Als gigantisches Schwarzes Brett für Forumsdiskussionen entstand es ab 1979. Es entwickelte sich später zur wahren Finsterecke des Netzes, wo in den sogenannten alt.binaries-Gruppen in Teile zerhackte Dateien verteilt wurden. Die Binaries-Gruppen wurden zum populärsten Teil des Usenet, gerade weil dort Pornographie, Kinderpornographie, gehackte Software, massenhaft Musik und Filme verteilt wurden. Deshalb auch klinkten sich ab Ende der Neunziger immer mehr Provider aus dem Usenet aus oder sperrten ihren Kunden zumindest den Zugang zu den alt.binaries. Das machte das Usenet zu einem der wenigen Orte im Web, für die man Maut verlangen kann: Seit einigen Jahren werben spezialisierte Provider mit "Daten-Flatrates" für Usenet-Downloads, die es früher grundsätzlich umsonst gab.
Einer dieser Anbieter war Newzbin, der Dienst, den die MPA nun sperren lassen will. Im vergangenen Jahr klagte die MPA erfolgreich gegen Newzbin und erwirkte die Schließung. Doch so einfach ist das selten im Internet: Nach Verhängung einer 360.000-Pfund-Strafe ging Newzbin in die Insolvenz, nur um bald darauf unter neuer Führung, auf ausländischen Servern gehostet wieder online zu gehen.
Typisch: So lange es ein Daten-Backup einer Website gibt, ist die nicht dauerhaft aus dem Netz zu verbannen. Wenn Menschen ein Interesse an ihrem Fortbestand haben, veröffentlichen sie die Inhalte anderswo. Als die Pirate-Bay-Server erstmals abgeschaltet wurden, gab es am Folgetag "Mirrors" im Netz. Bereits mehrere Male entgingen illegale Datenverteiler ihrer dauerhaften Löschung, indem sie Kopien des Angebots per Bittorrent im Netz verteilten. Je nachdem: Genügend Idealismus, Ideologie oder kriminelle Energie vorausgesetzt, ist kaum etwas einfach "abzuschalten" im Netz.
Filter sind Trend
Aber man kann es verbergen, wenn von Seiten des Providers alle Web-Adressen eines solchen Angebotes erfasst und der Zugang dazu schlicht blockiert wird. BT soll nun gerichtlich dazu gezwungen werden. Dabei debattiert die Branche in Großbritannien bereits intern darüber, genau das in Eigenverantwortlichkeit zu übernehmen. Die Nachricht, dass Provider und Copyright-Branchen bereits darüber verhandeln, kommt nur Tage, nachdem entsprechende Gerüchte aus den USA verbreitet wurden. Es könnte das Ende der Streaming- und Downloadplattformen sein, zumindest in Großbritannien, zumindest in allen unverschlüsselt über das Web zugänglichen Formen - Datensauger würden in kostenpflichtige Nischen abgedrängt.
Was den britischen Providern angeblich vorschwebt, orientiert sich tatsächlich am Vorbild der in Großbritannien bereits implementierten Sperrlisten gegen Kinderpornografie. Eine zu schaffende, unabhängige Kommission könnte dann darüber entscheiden, welche Web-Angebote, Streaming-Seiten, Bittorrent-Verzeichnisse oder Usenet-Dienstleister "unsichtbar" werden sollten. Den Providern ist der Vorschlag sympathisch, weil sie dann nicht selbst zu "Aufsehern" über ihre eigenen Kunden werden müssten: Sie würden mit einer Kommission kooperieren, in die sie genauso wie der Staat und die Rechteinhaber Mitglieder entsenden würden - und müssten deren Vorgaben nur umsetzen.
Die Richter des High Court werden auch diese Diskussion verfolgt haben. Zusätzlichen juristischen Input bekamen sie erst am Mittwoch vom Europäischen Gerichtshof. Der hatte Ebay in die Pflicht genommen , auf seiner Plattform künftig stärker über die Rechte von Marken- und Copyright-Inhabern wachen zu müssen - und zwar in Bezug auf Rechteverletzungen durch seine Kunden. Der britische High Court erwartet in den nächsten Wochen auch in dieser Sache Klagen - auch gegen Ebay-Nutzer, die echte Waren ohne entsprechende Autorisierung veräußerten.
Man könnte also sagen, der Trend geht zurzeit eher zugunsten der Rechteinhaber und zudem dahin, Dienstleister in die Pflicht zu nehmen. Sollte der High Court in London mit seinem Urteil am Donnerstag diesem Trend folgen, würde das in Europa mit Sicherheit für Diskussionsstoff sorgen. In Deutschland drängen das BKA und andere Organisationen nach wie vor auf die Implementierung der Kinderporno-Sperrlisten. Hierzulande, heißt es, sollten die aber nur zu diesem einen Zweck eingesetzt werden.

(Quelle: spiegel.de/)

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