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Interview mit Anonymous Austria(gulli:news)

An der Schnittstelle zwischen Politik, Technik und Provokation sorgt Anonymous Austria weiterhin für Schlagzeilen. Anlass genug für uns, die Aktivisten - rund ein halbes Jahr nach dem letzten Interview - noch einmal zu ihren Aktionen, Plänen und Motiven zu befragen.

Das Interview:

gulli:News: Fangen wir mit etwas Leichtem zum Einstieg an. Eines eurer Markenzeichen sind lustige bunte Ponies aus der TV-Serie "My Little Pony: Friendship is Magic. Wie kam es dazu? Seid ihr wirklich alle oder mehrheitlich Fans der Serie, wollt ihr etwas bestimmtes damit ausdrücken, oder macht ihr das nur aus Spaß?

Anonymous Austria: Das war eigentlich purer Zufall. Der ursprüngliche Deface von spoe.at hatte kein Pony. Irgendwer hat das dann draufgepackt und alle so: "YAY!" Also ja, es gibt viele Bronies [also erwachsene männliche Fans der Serie "My Little Pony: Freundschaft ist Magie"] bei uns und darum haben wir Rainbow Dash & Co als Maskottchen. Außerdem sind wir so mindestens 20% cooler.

gulli:News: Wie ist euer Verhältnis, also das von Anonymous Austria, zum Rest des Kollektivs Anonymous? Habt ihr viel Kontakt zu anderen Hacktivisten? Plant ihr gemeinsame Aktionen oder stimmt Strategien ab? Identifiziert ihr euch mit dem Kollektiv? Was haltet ihr von der zugehörigen Symbolik, beispielsweise den Guy-Fawkes-Masken? Was unterscheidet euch von anderen Anons?

 Anonymous Austria: Irgendjemand hat das mal schön ausgedrückt: Anonymous ist eine Idee und AnonAustria ist die lokale Umsetzung davon. Natürlich identifizieren wir uns mit dem Kollektiv, halten Kontakt untereinander und arbeiten auch hin und wieder zusammen und dass wir öffentlich mit Guy-Fawkes-Maske auftreten, versteht sich von selbst. Aber wir passen unsere Aktivitäten auch an die speziellen Umstände in Österreich an. Der wohl größte Unterschied ist, dass wir durch unsere gezielte Zusammenarbeit mit den Medien versuchen, Anonymous etwas greifbarer und verständlicher darzustellen um das Bild vom "bösen Hacker" endlich loszuwerden. Wir sind ganz normale Menschen, die sich eben auf ihre besondere Art und Weise für gewisse Dinge einsetzen, und keine "Hacker auf Steroiden". AnonAustria besteht aus Personen, die eben nicht morgens die Zeitung aufschlagen und sich dann den Rest des Tages über die Missstände im eigenen Land aufregen, sondern aufstehen und aktiv ihren Unmut ausdrücken.

gulli:News: Kommen wir zu ernsteren Themen. Ihr befasst euch ja mit dem Thema Hacktivismus, also Angriffen auf Rechner oder Server, durch die ihr eure Ziele erreichen wollt. Das umfasst natürlich viele verschiedene mögliche Angriffsformen wie Defacements, DDoS-Angriffe oder auch das Abgreifen persönlicher Daten, die dann geleakt werden. Häufig hört man ja, das zumindest für einen Teil dieser Aktionen kaum technische Fähigkeiten nötig sind. Würdet ihr dem zustimmen? Wie sieht es mit euren technischen Fähigkeiten aus, seid ihr eher sehr fit in diesem Bereich oder nur Durchschnitt, oder ist das ganz unterschiedlich innerhalb der Gruppe?

Anonymous Austria: Für DDoS-Attacken ist in der Tat nicht viel technisches Know-How erforderlich, bei Defacements und ähnlichen Angriffsmethoden sieht das je nach Target unterschiedlich aus. Manche Systeme sind einfach zu knacken, während man sich an anderen schon einmal die Zähne ausbeißen kann. Wieviele von uns über die Fähigkeiten verfügen, in Systeme einzudringen und diese zu manipulieren ist schwer zu sagen. Es gibt ja keine Aufnahmetests oder so. Allerdings sind es nur wenige, die dieses Risiko auch eingehen. Viele Hacks beziehungsweise DDoS-Attacken dienen auch schlichtweg dazu, um mediale Aufmerksamkeit auf gewisse Themen zu lenken. Jede Zeitung berichtet darüber, wenn ein paar unbedeutende behördliche Websites für fünf Minuten nicht erreichbar sind. Das verschafft uns unmittelbar darauf das Gehör, um Themen, wie beispielsweise ACTA, überhaupt einer breiten öffentlichen Diskussion zuzuführen.

gulli:News: Viele Hacker und Sicherheitsexperten beklagen sich über die ihrer Meinung nach sehr schlechte Absicherung wichtiger Systeme, die Angriffe möglich macht und sensible Daten gefährdet. Häufig würden zum Beispiel wichtige Updates nicht aufgespielt, dumme Fehler bei der Konfiguration der Software gemacht oder schwache Passwörter benutzt. Wie seht ihr das - ist die Situation wirklich so katastrophal?

Anonymous Austria: Jein. Wichtige Systeme sind durchaus gut geschützt und wenn die Admins auf Zack sind, wird auch mal schnell die Verbindung gekappt. Es werden jedoch überraschend viele Anfängerfehler gemacht. Nach dem GIS-Hack zum Beispiel wurde die Seite einfach sofort wieder online gestellt, ohne sich Gedanken darüber zu machen, was eigentlich passiert ist und wo die Lücke liegt (noch dazu wurde man bereits Monate zuvor auf die unzureichende Programmierung hingewiesen!). Später fand sich sogar ein veraltetes Backup der Datenbank (2007) frei zugänglich auf dem Server.

gulli:News: Gerade viele Menschen, die sich viel mit Technik befassen, sind teilweise äußerst technikskeptisch - in der Hackerszene ist das häufig zu beobachten. Wie ist das bei euch? Begeistern euch eher die Möglichkeiten moderner Technologie, oder seht ihr eher die Risiken, oder trifft womöglich beides zu?

Anonymous Austria: Man muss immer abschätzen, welche negativen Auswirkungen neue Technologien mit sich bringen. Mittlerweile kann man sich zwar zum Beispiel wunderbar mit allen möglichen Diensten vernetzen, aber dass dabei die Privatsphäre verloren geht und man für jeden Interessierten ein offenes Buch ist, bedenkt kaumt einer. Hier gilt es ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass solche Neuerungen zwar manche Dinge vereinfachen, dafür aber auch zu neuen Problemen führen können.

gulli:News: Hacktivismus hat ja auch eine politische Komponente. Fangen wir ganz grundsätzlich an: wie würdet ihr eure Weltanschauung beschreiben? Lässt sich diese überhaupt auf einen gemeinsamen Nenner bringen, oder treffen sich bei euch Leute mit sehr unterschiedlichen politischen und philosophischen Ansichten?


Anonymous Austria: Auch wenn man uns gerne unterstellt, dass wir sehr nach links ausgerichtet sind, trifft dies genau so wenig zu, wie die Behauptung, dass The_Dude ein Nazi sei. Es gibt da keine gemeinsame Linie, aber extreme Tendenzen findet man bei uns nicht - weder nach links noch nach rechts.

gulli:News: Ihr investiert teilweise sehr viel Zeit und Energie in euer Engagement für Anonymous Austria und geht auch ein gewisses Risiko ein. Was motiviert euch und was wollt ihr erreichen?

Anonymous Austria: Die Motivation, sich bei Anonymous Austria dabei zu sein ist bei jedem anders, da gibt es keine allgemeine Motivation. Für die Einen ist es, in der politischen Landschaft etwas verändern zu können, für den Anderen, die Menschen im Bezug auf Datenschutz und Internetsicherheit aufzuklären. Aber egal, ob man sich nun als Hacktivist oder als Demonstrant als "Anonymous" einsetzt, das gemeinsame Antriebsmittel wird wohl die Idee sein, die jeder einzelne von Anonymous hat.

gulli:News: Hacktivismus ist ja für diejenigen, die ihn betreiben, ein Mittel zur politischen (Mit-)Gestaltung. In den letzten Jahren gewann dies extrem an Bedeutung. Glaubt ihr, das wird so weitergehen? Welche Erfolgsaussichten seht ihr bei diesem Vorgehen?

Anonymous Austria: Der Erfolg manifestiert sich vor allem in den Medienberichten. Dadurch werden dann die Menschen zum Nachdenken angeregt und sie fangen an, die Dinge zu hinterfragen, die sie sonst einfach so hingenommen hätten. Bestimmte Themen würden ohne Aktionen von unserer Seite vor allem in den Mainstream-Medien vermutlich nur am Rande erwähnt werden oder gar total untergehen.

gulli:News: Bei einigen eurer Aktionen ist es durchaus möglich, dass auch Unbeteiligte zu Schaden kommen, etwa, weil sensible Daten von ihnen an die Öffentlichkeit gelangen oder weil sie wichtige Ressourcen zeitweise nicht nutzen können. Wie steht ihr dazu? Bedauert ihr das? Würdet ihr sagen, dass der Zweck die Mittel heiligt?

Anonymous Austria: Die einzigen Unbeteiligten, die bisher zu Schaden gekommen sind, waren Michael R. [der Wiener Informatiker, der irrtümlich von der Polizei durchsucht wurde, weil diese glaubte, er sei "The_Dude"] und der Aktivist, der stundenlang verhört wurde. Beide Vorfälle sind einzig und allein auf die Unfähigkeit der Ermittlungsbehörden zurückzuführen.

gulli:News: Manche Menschen bezeichnen eure Aktionen - beziehungsweise die von Anonymous im Allgemeinen - als Terrorismus. Was sagt ihr dazu?

Anonymous Austria: Bei uns in Österreich wird ein brennender Mülleimer als linksextremer Terrorismus eingestuft und vom Tierschützerprozess muss man wohl keinem mehr erzählen. Nach dieser Auffassung sind wir wohl sowas wie die Staatsfeinde Nr. 1. Solche Bezeichnungen zeigen nur, dass "die da oben" Angst vor uns haben und genau wissen, dass langsam aber sicher die Zeiten vorüber sind, in denen sie über unsere Köpfe hinweg Entscheidungen zu ihren Gunsten treffen konnten. Unsere Aktionen als Terrorismus abzutun, ist grotesk: Wir setzen unser Bestes daran, Bürger zu informieren, Missstände aufzuzeigen und Grundrechte zu sichern. Dass derlei Aktivitäten gewissen Politikern aufstoßen, die nur in ihre eigene Tasche arbeiten und nicht im Sinne der Bevölkerung agieren, ist wohl keine Überraschung.

gulli:News: Anonymous Austria engagiert sich ja besonders gegen die Vorratsdatenspeicherung, die in Österreich derzeit ein großes politisches Thema ist. Wieso lehnt ihr diese Sicherheitsmaßnahme ab?

Anonymous Austria: Die Vorratsdatenspeicherung ist keine Sicherheitsmaßnahme - ihre Wirksamkeit wurde bereits mehrfach widerlegt. Es handelt sich dabei nur um ein weiteres Instrument, das dazu dient, die Menschen zu überwachen und zu kontrollieren.

 gulli:News: Was sind eure bevorzugten Aktionsformen bei diesem Engagement? Stimmt der Eindruck, dass ihr hierbei eher auf legale und bürgerliche Mittel wie Paperstorms und Informationskampagnen zurückgreift? Wenn ja, warum?
Anonymous Austria: Der "Kick-Off" unserer Anti-VDS-Kampagne war der Polizei-Leak. Danach haben wir den Protest mit dem ersten Paperstorm auf die Straße getragen und waren ob der positiven Resonanz sehr erfreut und auch ein bisschen überrascht, dass diese Aktion so gut ankam. Wir wurden mit Anfragen überflutet, wann denn das nächste Mal sowas stattfindet und wie man da mitmachen kann etc. Außerdem lässt sich über Flugblätter und direkte Kommunikation die Botschaft besser vermitteln und man erreicht auch Menschen, die sich nicht so sehr mit dem Internet und den Nachrichten beschäftigen.

gulli:News: Wie reagiert die Bevölkerung auf euer Engagement? Was haben die Leute für ein Bild von Anonymous, und ändert sich dieses durch eure Aktionen gegen die Vorratsdatenspeicherung? Könnt ihr die Menschen erreichen?

Anonymous Austria: Wir können die Menschen durchaus zum Nachdenken anregen. Ein älteres Ehepaar in Wien war zum Beispiel sehr empört, als ihnen von einem Jugendlichen mit Guy-Fawkes-Maske erklärt wurde, was VDS bedeutet und dass dies bald Realität wird. Bisher hatten die beiden nichts davon mitbekommen, weil solche Themen in den alten Medien einfach keine Beachtung finden. Den Kommentaren auf diversen Nachrichtenportalen kann man auch eine sehr positive Einstellung der Menschen uns gegenüber entnehmen. Hin und wieder gibt es natürlich auch Kritik und Verbesserungsvorschläge, aber im Großen und Ganzen scheint der Großteil unsere Aktionen zu befürworten. Während der ACTA-Proteste hatten wir auch Kontakt mit einigen Politikern und haben auch von deren Seite fast immer positive Rückmeldungen bekommen.
gulli:News: Es war mehrfach zu hören, dass ihr aufgrund eures politischen Engagements zu diesem Thema verstärkt Probleme mit der Polizei bekommen hättet. Würdet ihr nach wie vor sagen, dass das ein Problem ist? Wo seht ihr die Gründe dafür?

Anonymous Austria: Nachdem wir die geplanten Maßnahmen der Polizei bereits vor dem ersten Paperstorm öffentlich gemacht hatten, wurden sie hauptsächlich auf Observationen beschränkt, aber auch einige Personalien aufgenommen. An dieser Stelle könnte man jetzt auch diverse Verschwörungstheorien erläutern und Anleitungen zum Bauen von Aluhüten geben, aber um es kurz zu sagen: Big Brother is watching you! Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Man tanzt aus der Reihe und ist nicht bloß einfacher Konsument, sondern ein denkendes Individuum, dass sich nicht so einfach unterdrücken und bevormunden lässt.

gulli:News: Wie geht ihr mit dieser Problematik um? Schützt ihr euch besser oder anders als vorher? Habt ihr Angst? Gab es Fälle, wo Anons aufgrund des Risikos ihr Engagement beendet oder eingeschränkt haben?

Anonymous Austria: Was die Paperstormer betrifft: Diese werden von uns auf mögliche Konsequenzen und auch ihre Rechte hingewiesen. Wir gehen davon aus, dass jeder weiß, was er tut. Diejenigen, die sich mehr dem "Hacktivismus" widmen, wissen ohnehin, wie sie sich zu verhalten haben. Bisher hat sich niemand aus Angst vor der Polizei zurückgezogen und es sieht auch in Zukunft nicht danach aus.

gulli:News: Gibt es sonst noch etwas, das ihr unseren Lesern sagen möchtet?

Anonymous Austria: Für die "berühmten letzen Worte" ist es noch zu früh, aber bis dahin: Love & Tolerance

gulli:News: Vielen Dank für das Interview.

(Quelle: gulli.com)

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